Ich bleibe mal beim persönlichen "Du", weil das in der Transaktionsanalyse (TA) üblich ist und in diesem Kontext auch besser rüber
kommt.
Die Grundeinstellung der TA lautet: Ich bin okay, Du bist okay.
Was bedeutet das denn?
1. Wir sprechen hier von der Seinsebene, nicht unbedingt von der Handlungsebene. Die Handlung eines Menschen kann nicht okay sein - anderen schaden, sie manipulieren, verletzen, schlagen, gar töten - diese Handlungen sind moralisch nicht in Ordnung und ziehen Konsequenzen nach sich, sonst können wir als Gesellschaft nicht funktionieren. Aber der Mensch selbst ist okay. Ja, und auch der, der so unmoralisch handelt: Als Mensch ist er okay.
2. Zu sagen "wir sind alle okay", ist leicht gesagt, wird aber meistens nicht gelebt. Warum ist das so? Da habe ich einige Zeit gebraucht, um die Wechselwirkung zu sehen: Wenn ich als Mensch zulasse und begreife, dass ich so, wie ich bin (ohne gerade was zu leisten, es jemandem recht zu machen, ohne zu siegen oder besonders spaßig zu sein oder die Welt zu retten) okay bin, dann erst bin ich in der Lage, auch andere okay zu finden. Und da wird es dann schon ein bisschen klarer, weshalb so viel Abwertung im zwischenmenschlichen Kontext besteht.
Momentan befasse ich mich mit Themen wie Narzissmus, abhängige Persönlichkeit, Opferrolle, Täterrolle etc. In diesem Kontext gibt es viele, viele Menschen, die den anderen abwerten: Der Narzisst ist das Monster und das Opfer ist immer hilflos. Habe ich auch im Kontext "Autismus" erlebt: Die Autisten sind die kalten Maschinen, der Nicht-Autist ist der arme Empath, der nicht geliebt wird.
In meiner Welt ist weder das eine, noch das andere korrekt. Jemand, der narzisstisch denkt, fühlt, handelt, ist kein Monster. Seine Handlungen mögen nicht okay sein aber er als Mensch ist in Ordnung. Er hat sich bewusst/unbewusst entschieden, Täter zu sein (aus unterschiedlichen, individuellen Gründen). Das Opfer hat sich bewusst/unbewusst entschieden, die Opferrolle einzunehmen. Ja, ich weiß, dass so etwas schleichend geschieht und vieles davon geschieht unbewusst. Warum unbewusst? Weil wir gelernte, angeeignete Muster in unserem Erwachsenenleben weiterführen. Wir haben als Kind gelernt, dass das Verhalten, welches wir an den Tag legen, wichtig ist, um zu überleben - dass wir nun als Erwachsene auch anders handeln dürfen, das blenden wir oft aus. Und manchmal blenden wir es ganz bewusst aus, denn um es zu beheben, müssen wir dahin schauen, woher es kommt, und oft ist das ein dunkler Abgrund.
Also: Du bist okay.
- Mag sein, dass Du auf der Arbeit nicht die Leistung (die perfekte Leistung!) erbracht hast, die Du von Dir verlangst. Mal ehrlich: Ist das überhaupt machbar? Ist mir egal, ob's machbar ist. Du bist auch so okay.
- Du entscheidest Dich, mal Dich in den Mittelpunkt zu stellen und Deine Bedürfnisse zu befriedigen. Vielleicht löst das ein schlechtes Gewissen in Dir aus. Du hast gelernt, dass Du nur okay bist, wenn Du für andere da bist. Aber das ist nicht wahr. Du bist auch so okay.
- Du lässt andere nicht an Dich heran, distanzierst Dich. Man wirft Dir vor, kalt und berechnend zu sein. Jedes Verhalten hat einen (meist sehr alten) Grund. Deine Handlungen mögen nicht immer okay sein aber Du als Mensch bist okay.
- Ziemlich sicher hast Du gelernt, dass "Okay-Sein" an eine Bedingung geknüpft ist. Zum Beispiel: "Wenn ich perfekt bin, bin ich okay", "Wenn ich es allen recht mache/mich um andere kümmere, bin ich okay", "Wenn ich stark bin, bin ich okay". Das hat alles eine Funktion. Wenn ihr ein wenig Selbstanalyse betreiben wollt, könnt ihr euch ja mal fragen, woher und von wem das kommt. Wenn nicht, auch okay.
Dieses "Ich bin okay, Du bist okay" zu lernen und auch anzuwenden, ist ein langer Prozess und besteht vor allem daraus, sich seinen eigenen Schmerz anzuschauen.
Das kann sehr spannend sein.
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